Stage Fright

England 1950

Die rote Lola

 

Berichte

  • «Alfred Hitchcock und seine Filme«, München 1979, Seite 160
  • Leslie Frewin, «Marlene Dietrich», München 1979, Seite 122–127
  • «Marlene – ein Leben, ein Mythos» Charles Higham, Hamburg 1978, Seite 173–175
  • Thierry de Navacelle, «Marlene Dietrich», Berlin 1987, Seite 136–140
  • Berndt Schulz, «Marlene – die Biographie einer Legende», Bergisch Gladbach 1992, Seite 336–340
  • «Marlene Dietrich» Donald Spoto, München 1992, Seite 267–276
  • Steven Bach, «Marlene Dietrich – die Legende, das Leben», Düsseldorf 1993, Seite 457–464
  • Maria Riva, «Meine Mutter Marlene», München 1992, Seite 676–677, 679, 680,681
  • Marlene Dietrich, «Nehmt nur mein Leben»,Reflexionen, München 1979, Seite 199–200
  • Donald Spoto, «Alfred Hitchcock – Die dunkle Seite des Genies», Hamburg 1984, Seite 368–371
  • Helga Bemmann, «Marlene Dietrich – Ihr Weg zum Chanson», Wilhelmshaven 1987, Seite 124–125
  • Marlene Dietrich, «ABC meines Lebens», Berlin 1963, Seite 80
  • David Bret, «Meine Freundin Marlene» , Hamburg 2002, Seite 168–169

 

Auszug aus einem Interview von Francois Truffant mit Alfred Hitchcock:

Ich finde es völlig logisch, daß Sie “Under Capricorn” gedreht haben. Dagegen scheint mir Ihr folgender Film, “Stage Fright”, den Sie ebenfalls in London gedreht haben, nicht unbedingt ein Ruhmesblatt für Sie zu sein. Das ist wirklich ein kleiner englischer Krimi in der AgathaChristieTradition und genau eines von diesen Whodunits, mit denen Sie sonst nichts zu tun haben wollen.

Das stimmt, aber es gab eine Sache, die mich interessierte, die Idee, eine Theatergeschichte zu drehen. Genauer gesagt, ich mochte diese Idee: Ein Mädchen, das Schauspielerin werden möchte, muß sich verkleiden und im Leben seine erste Rolle spielen, indem es bei einer polizeilichen Untersuchung mitmacht. Sie fragen sich, weshalb ich diese Geschichte genommen habe? Das Buch war kurz zuvor erschienen, und verschiedene Kritiker hatten in ihren Besprechungen geschrieben: “Dieser Roman ergäbe einen guten Hitchcockfilm.” Und ich habe sie wie ein Idiot beim Wort genommen.
Wissen Sie, ich habe mir bei dieser Geschichte etwas erlaubt, was ich nie hätte machen dürfen: eine Rückblende, die eine Lüge war.

Man hat Ihnen das häufig zum Vorwurf gemacht, auch die französische Kritik.

In Filmen nehmen wir es immer hin, wenn einer beim Erzählen einer Geschichte lügt. Wir nehmen es auch hin, wenn jemand eine vergangene Geschichte erzählt und die durch eine Rückblende illustriert wird, als ob sie sich in der Gegenwart abspielte. Weshalb also sollte man eigentlich nicht in einer Rückblende auch eine Lüge erzählen können?

So einfach ist das in Ihrem Film nicht. Richard Todd, der von der Polizei verfolgt wird, steigt zu Jane Wyman in den Wagen, der schnell losfährt. Sie sagt: “Keine Polizisten in Sicht, ich wüßte gern, was passiert ist.” Darauf beginnt Richard Todd zu erzählen, und seine Erzählung wird in einer Rückblende dargestellt. Er sagt und man sieht, wie er zuhause war, als Marlene Dietrich völlig außer sich auftauchte mit einem Blutfleck auf ihrem weißen Kleid, und sie erzählt ihm, was passiert ist. Das ist ein außerordentlich indirektes Erzählverfahren, weil Todd Jane Wyman erzählt, was ihm Marlene Dietrich erzählt. (Sie hat ihren Mann umgebracht und kommt nun zu Todd, der ihr helfen soll, ein Indiz aus dem Weg zu räumen. Er erklärt sich bereit, aber da man ihn am Ort des Verbrechens gesehen hat, glaubt er, man verdächtige ihn). Gegen Ende des Films erfahren wir, daß Todd sowohl Marlene Dietrich als auch Jane Wyman als auch die Polizei belogen hat und daß er der Mörder ist. In Wirklichkeit hat er also dreimal gelogen, denn diese Rückblende ist in drei Teile aufgeteilt.

Es stimmt, alles war sehr indirekt.

Ich finde, die ersten drei Rollen des Films sind die besseren.

Ich weiß nicht. Mir hat das Wohltätigkeitsfest im Garten Spaß gemacht.

Das ist allerdings ganz amüsant, nur mag ich die Figur, die Alastair Sim spielt, nicht besonders, den pittoresken Vater von Jane Wyman. Ich mag weder die Figur noch den Schauspieler.

Das ist wieder der Fehler, in England zu filmen. Da sagen sie einem “Das ist einer unserer besten Schauspieler, den müssen Sie in Ihrem Film haben.” Das ist wieder das lokale und nationale Vorurteil, das ist wieder die Inselmentalität. Außerdem habe ich bei dem Film große Schwierigkeiten mit Jane Wyman gehabt.

Ich dachte, Sie hätten sie genommen, weil sie ihrer Tochter, Patricia Hitchcock gleicht. Ich hatte überhaupt den Eindruck, so etwas wie einen väterlichen, einen Familienfilm zu sehen.

Das stimmt nicht ganz. Ich habe sehr viel Schwierigkeiten mit Jane Wyman gehabt. In ihrer Verkleidung als Zimmermädchen mußte sie sich häßlich machen lassen, denn immerhin kopierte sie die ziemlich unfreundliche Zimmerfrau, deren Platz sie einnahm. Bei den Mustervorführungen verglich sie sich jedesmal mit Marlene Dietrich, und dann fing sie an zu weinen. Sie konnte sich einfach nicht damit abfinden, eine bestimmte Rolle zu spielen, und die Dietrich war wirklich schön. Und so richtete sich Jane Wyman heimlich von Tag zu Tag besser her und schaffte deshalb ihre Rolle nicht.

Als ich neulich versuchte, mir diesen Film mit Ihren Augen genau anzuschauen, fiel mir auf, daß man sich nicht genug für die Geschichte interessiert, weil sich imgrunde keine der Personen wirklich in Gefahr befindet.

Ich habe das bemerkt, ehe der Film abgedreht war, aber zu einem Zeitpunkt, als nichts mehr zu machen war. Weshalb ist keine der Personen wirklich in Gefahr? Weil wir eine Geschichte erzählen, in der die Schurken Angst haben. Das ist die große Schwäche des Films, denn sie verstößt gegen die Hauptregel: Je gelungener der Schurke ist, umso gelungener ist der Film. Das ist die große Kardinalregel, aber in diesem Film war der Schurke nichts.

(aus «Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?» von Francois Truffant, München 1973)