Marlene fiel von der Bühne
Aber sonst: Begeisterung in Wiesbaden

v. S. WIESBADEN (Eig. Bericht) – „Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie erschreckt habe, weil ich hingefallen bin. Aber ich habe mir nicht wehgetan.“ Mit diesen Worten entschuldigte sich Marlene Dietrich gestern Abend in der Wiesbadener Rhein-Main-Halle bei ihrem begeisterten Publikum für den einzigen Zwischenfall des Abends. Sie war von der Bühne gestürzt und in die erste Parkettreihe gefallen.

Bei dem Lied „A quarter to three“ trug Marlene Zylinder und Frack mit weißer Nelke am linken Revers. In der Hand hielt sie die brennende Zigarette.

Bei abgedunkelter Bühne näherte sie sich dem Hand des Podiums. Plötzlich stolperte sie über ein Kabel und fiel die etwa ein Meter hohe Bühnenrampe hinab.

Aber ehe sich einer der Zuschauer gefasst hatte, war diese erstaunliche Frau wieder auf den Beinen. Kaum zwei Minuten später setzte sie sich, diesmal ohne Zigarette, wieder im Scheinwerferlicht auf der Bühne zurecht, um das Lied von vorn anzufangen.

Marlene Dietrich gab ihr Wiesbadener Gastspiel in Anwesenheit ihres eigentlichen Entdeckers, des jetzt in Amerika lebenden Regisseurs vom „Blauen Engel“, Josef von Sternberg, den die Dietrich, die sich während des ganzen Abends selbst konferierte, eigens begrüßte und mehrmals ansprach.

Die zu 80 Prozent besetzte Rhein-Main-Halle war begeistert für hundert Prozent. Und als Marlene ihr Programm beendet hatte, rissen die Zuschauer die roten Hortensien der Bühnendekoration ab, um sie auf die Bühne und ihr in die Arme zu werfen.

Der Beifall dauerte eine halbe Stunde und veranlasste Marlene zu mehreren Zugaben. Die erste davon war das Hobellied von Raimund „Da streiten sich die Leut’ herum“. Und der unvermeidliche Koffer in Berlin war natürlich auch dabei.

Abendpost, Frankfurt, vom 23.05.1960